In Erinnerung an Klaus-Dieter Baumgarten, Generaloberst und Chef der Grenztruppen der DDR
(* 1. März 1931; † 17. Februar 2008)
(* 1. März 1931; † 17. Februar 2008)
Hohes Gericht,
in jedem Strafprozeß
wird dem Angeklagten die Möglichkeit eingeräumt, sich mit einem letzten Wort zu
äußern.
Gemeinhin wird
erwartet, daß der Angeklagte darin Reue zeigt und das Gericht um ein mildes
Urteil bittet. Das setzt aber voraus, daß die Anklage zu Recht erhoben und die
Schuld in der Hauptverhandlung zweifelsfrei bewiesen wurde.
Beide Bedingungen
wurden in diesem Prozeß nicht erfüllt. (...)
Sechs Jahre nach der Vereinigung
- besser gesagt, dem Anschluß der DDR durch die BRD - wird dieser Strafprozeß
durchgeführt. Brauchte man solange, um die Anklageschrift zu formulieren und
dann die 36. Strafkammer mit der Prozeßdurchführung zu beauftragen? Nein, es
ging darum, trotz fehlender Rechtsgrundlage, erst die einfachen Soldaten, die
man als "Mauerschützen" diffamierte, zu verurteilen, um dann mit
Hilfe der Massenmedien zu skandieren: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt
man laufen. Die Prozesse gegen die Soldaten der DDR waren gewollt, und die
Opfer der Teilung Deutschlands werden für die Abrechnung mit der DDR
mißbraucht. Ist es wirklich so, wie Herr Staatsanwalt Wenzler zu Beginn seines
Plädoyers versicherte, daß dies kein politischer Strafprozeß sei, sondern es nur
um die Klärung individueller Schuld ginge? Die äußeren Umstände, die politische
Lage in diesem Lande und der Verlauf dieses Prozesses bestätigen, es ist ein
politischer Strafprozeß. Es ist in der Tat die Abrechnung des vermeintliche
Siegers mit den Besiegten.
Dieser Prozeß hat
seine Geschichte, und ich glaube, für die Beurteilung meiner Verantwortung und
behaupteter Schuld ist es erforderlich, darauf Bezug zu nehmen. Als die
Massenmedien die ersten Prozesse gegen Grenzsoldaten ankündigten, die an der
Verletzung oder am Tod von Grenzverletzern beteiligt waren, richteten
Generalleutnant a. D. Leonhardt, Generalleutnant a. D. Lorenz, Generalmajor a.
D. Teichmann und ich einen Brief an die Bundestagspräsidentin, Frau Prof. Dr.
Süßmut, und alle Abgeordneten des Bundestages mit der Bitte, die uns
unterstellten Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere für die dienstlich an der Grenze vorgenommenen Handlungen
strafrechtlich nicht zu verfolgen. Die Verantwortung tragen wir.
Nachdem wir über
sechs Wochen weder eine Eingangsbestätigung noch eine Antwort vom höchsten
Parlament dieses Staates auf unser Anliegen erhielten, übergaben wir unseren
Brief wenige Tage vor Beginn des ersten
Grenzerprozesses der Öffentlichkeit. Unmittelbar darauf erhielten wir
die Antwort, daß der Bundestag für eine sachliche Behandlung nicht zuständig
sei und die "Durchführung von Strafverfahren im Zusammenhang mit
Vorkommnissen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze vielmehr der
Arbeitsgruppe Regierungskriminalität beim
Kammergericht Berlin obliegt."Unser Versuch, die
"Kleinen" nicht hängen zu lassen, wurde vom Tisch gewischt. Die
Politiker und die Justiz der BRD verwehrten uns das Recht, den Unterstellten
Schutz und Fürsorge zukommen zu lassen, an
ihrer Stelle Verantwortung zu übernehmen. Nach wie vor betrachte ich es als
meine Pflicht als Offizier, mich um die ehemals Unterstellten zu sorgen.
Ich weiß um die großen Probleme, um die
sozialen und finanziellen Belastungen, um Diffamierungen und
Besudelungen durch Medien, denen sie und ihre Familien ausgesetzt waren, sind
oder werden. Das alles nicht, weil sie sich schuldig gemacht haben, sondern
weil sie ihrem Staat entsprechend dem Fahneneid dienten. Allen Angehörigen der
Grenztruppen, die der politischen Strafverfolgung ausgesetzt sind, möchte ich von
hier aus sagen: Wir sind keine Kriminellen
und keine Mauerschützen, wir sind keine Soldaten, die dem Unrecht
dienten. Trotz aller Verleumdungen können wir aufrecht und erhobenen Hauptes
sagen: Wir haben als deutsche Soldaten unseren Anteil daran, daß der Kalte
Krieg nicht zu einem heißen wurde, daß der Frieden erhalten blieb. Und aus
eigenem Erleben weiß ich auch, wie wichtig Solidarität ist. Deshalb bitte ich
die Grenzer aller Dienstränge: Steht zueinander, helft den strafrechtlich
Verfolgten, übt Solidarität mit ihnen, gebt ihnen Kraft und Mut, kämpft für die
Gerechtigkeit!
Zur Geschichte dieses
Prozesses gehört auch die von der Staatsanwaltschaft gewollte und geförderte widerrechtliche Vorverurteilung der
hier Angeklagten durch die Massenmedien. (...)
Es ist bezeichnend,
daß die Staatsanwaltschaft ausgerechnet die Bild-Zeitung
und diese Art Journalisten zu ihrem Sprachrohr wählte.
Woher hatte Bild die Anlageschrift, wer von der
Staatsanwaltschaft ist gegen diesen offenen Rufmord eingeschritten, gegen die
Verletzung der Unschuldsvermutung? (...)
Als eine der
wichtigsten Begründungen für das strafrechtliche Vorgehen gegen Hoheitsträger
der DDR wird behauptet, man dürfe den Fehler der Vergangenheit nicht
wiederholen, daß man nicht oder völlig unzureichend die Naziverbrechen durch
die Justiz der BRD verfolgt habe. Daß dies ein verhängnisvoller Fehler war, ist
unbestritten. Doch wie kam er zustande? Haben denn Tausende von Mitarbeitern
der Staatsanwaltschaft der BRD diesen Fehler aus Unkenntnis der Verbrechen des
Naziregimes begangen? Waren sie auf Grund von Arbeitsüberlastung außerstande,
Anklage zu erheben und Beweismittelverlust abzuwenden? War man personell nicht
in der Lage, eine Sonderstaatsanwaltschaft II beim Landgericht Berlin dafür
einzurichten? Nein, es war gewollt, die Verbrechen nur mit großer Zurückhaltung
oder gar nicht zu ahnden. (...)
Ich gestehe, es ist
mir sehr schwer gefallen, Ihren Vergleich der DDR und unseres Handelns mit dem
Nazireich zu ertragen. Dieser Vergleich ist für mich eine unerträgliche
Beleidigung, denn ich bin mein ganzes Leben dem Vermächtnis deutscher und
internationaler Antifaschisten verpflichtet. Ich bekenne, ich habe Tausende von
jungen Bürgern der DDR im Sinne des Antifaschismus erzogen. Unsere Kasernen
trugen die Namen derer, die für ein besseres Deutschland ihr Leben gaben, und
nicht die eines Generalfeldmarschalls Dietl oder anderer, die dem Nazireich
treu gedient haben. Ich bin Herrn Rechtsanwalt Schippert für seine menschlich
bewegenden, überzeugenden Worte dankbar, die er fand, als er diesen unerhörten
Vergleich auch juristisch fundiert zurückwies.
Im Plädoyer der
Staatsanwaltschaft heißt es sinngemäß: "Nicht der Kalte Krieg tötete
DDR-Bürger, sondern Menschen." Das ist zweifelsfrei richtig. Nur, Herr
Staatsanwalt, Ihre Betrachtungsweise ist nach wie vor aus dem geschichtlichen
Zusammenhang gerissen, unvollständig, sie
ist demagogisch. Jeder Krieg - auch der Kalte Krieg - wird von Menschen
vorbereitet und geführt, immer mit konkreten politischen, weltanschaulichen,
aber insbesondere wirtschaftlichen
Zielstellungen. Die Kriege in diesem Jahrhundert, angezettelt um die
Neuverteilung der Einflußsphären und geführt insbesondere von den Herrschenden
in Deutschland, kosteten bekanntlich im ersten Weltkrieg über zwanzig Millionen
Menschen und im zweiten Weltkrieg über fünfzig Millionen Menschen das Leben. Es
gab Zerstörungen unvorstellbaren Ausmaßes.
Millionen Menschen wurden obdachlos oder verloren ihre Heimat. Wer zählt
die Opfer dieser Verbrechen an der Menschheit? Wer verfolgt ihre Täter, wie es
im Potsdamer Abkommen gefordert war? Die Staatsanwaltschaft dieses Landes hat
es versäumt, gegen diese Art von Regierungskriminalität wegen Verstoßes gegen
das Potsdamer Abkomme zu ermitteln.
Haben Sie, Herr
Wenzler, oder Sie, Herr Schmidt, gegen einen Offizier oder General der
Wehrmacht oder der SS, die in dieser Bundesrepublik in der Bundeswehr in
leitenden Positionen dienten oder hohe Pensionen erhalten, die ihre Auszeichnungen,
ihre Ritterkreuze für ihr militärischen Handlungen gegen fremde Völker
öffentlich auch an der Uniform der Bundeswehr tragen dürfen, Ermittlungen
geführt oder sie angeklagt? Sie verfolgen diejenigen, auf die schon die Nazis
Jagd gemacht haben. Ich bin überzeugt,
hätte ich den Dienstgrad eines Generaloberst der Wehrmacht, ich würde
von keiner Staatsanwaltschaft dieses Landes behelligt werden, kein Gericht
würde einen solchen Prozeß wie diesen gegen mich durchführen. Die deutsche
Justiz befindet sich auch hier in ihrer Traditionslinie.
Rote Generale, seien
es die in Gefangenschaft geratenen Generale der Sowjetarmee oder des Spanischen
Bürgerkrieges, die der Nationalen Volksarmee oder der Grenztruppen, werden in
Deutschland natürlich anders behandelt. Wir werden verfolgt und verurteilt,
obwohl wir keine Krieg geführt haben, obwohl wir keine Kriegsverbrechen
begingen und uns keiner Menschenrechtsverletzung schuldig gemacht haben. Unser
Verbrechen besteht allein darin, einen Beitrag dafür geleistet zu haben, daß
die DDR für vierzig Jahre dem Zugriff für Profit und Ausbeutung entzogen wurde.
Was,
Herr Staatsanwalt, geschah mit den Menschen, die Soldaten der DDR erschossen? (...)
In unserem Anklagezeitraum wurden vier Angehörige der Grenztruppen ermordet. Die
Namen ihrer Mörder stehen in keiner Anklageschrift (...). Die Mörder
kalkulierten den bestehenden Rufmord an Grenzsoldaten ein und wußten, daß sie
in der BRD für ihre Taten gerichtlich nicht verfolgt werden oder allenfalls
symbolische Strafen zu erwarten hatten. Was rechtfertigt solche Handlungen und
ihre Nichtverfolgung? Keinem Auslieferungsersuchen der DDR wurde stattgegeben.
War das keine Aufforderung für weiteres gesetzwidriges Handeln? Wie sagten Sie
doch, Herr Staatsanwalt? "Nicht der Kalte Krieg tötete DDR-Bürger, sondern
Menschen."
Ich wiederhole
nochmals, mir geht es nicht um Aufrechnung des Leids. Es ist aber notwendig,
gleiche Maßstäbe anzulegen. Das Leben eines jungen Grenzsoldaten, der Schmerz
dieser Mutter um ihren Sohn, der sein Leben lassen mußte, ist nicht weniger
wert. Auch deshalb darf man nicht zulassen, daß die Geschichte einseitig
betrachtet wird und mit politischen Strafprozessen verfälscht werden soll.
Dieser Prozeß ist
auch ein sichtbarer Beweis dafür, daß mit unterschiedlichem Maß gemessen wird, wenn es um die Sicherung der Staatsgrenze
geht. Wie die Regierung der BRD und ihre zuständigen Organe - darunter auch die
Gerichte - die Anwendung der Schußwaffen an den Grenzen der Bundesrepublik
bewertet, untersucht beziehungsweise strafrechtlich verfolgt, wird aus einem
Schreiben des Bundesministerium des Innern vom 22. September 1994 [1] ersichtlich: Auf
eine schriftliche Anfrage der Abgeordneten des Bundestages Frau Dr. Dagmar
Enkelmann an die Bunderegierung, wie oft es seit Bestehen der BRD im Bereich
ihrer Staatsgrenze durch Angehörige des BSG, der Bayrischen Grenzpolizei, durch
Polizeibeamte der Länder, durch
Besatzungstruppen beziehungsweise der verbündeten Truppen zum
Schußwaffengebrauch kam und in wie vielen Fällen gegen die Schützen
strafrechtliche Verfahren und mit welchem Ergebnis eingeleitet wurden, teilte
das BMI in besagtem Schreiben folgendes mit: "Der Schußwaffengebrauch
richtet sich streng nach dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung
öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes unter besonderer
Berücksichtigung des darin enthaltenen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eine zahlenmäßige Erfassung
der gewünschten Angaben erfolgte nur im Bereich des BGS sowie bei der
Bayrischen Grenzpolizei für die Jahre 1981-1992 an der deutsch-österreichischen
Grenze. Insgesamt sind 11
strafrechtlich/dienstliche Verfahren eingeleitet worden. Von denen sind
5 noch nicht abgeschlossen, und 4 Verfahren wurden eingestellt. Zu 2 Verfahren
aus 1977 wurden die Unterlagen unter Beachtung der Aufbewahrungsfrist bereits
vernichtet. Der Ausgang ist insoweit nicht mehr feststellbar." Kann es
denn aus anderen als politischen Gründen möglich sein, daß es in der BRD nicht
einmal einen Überblick über die Verletzten und Toten durch Schußwaffengebrauch
an den Grenzen gibt und daß zum Beispiel Unterlagen von 1977 bereits vernichtet
sind? (...)
Hohes Gericht, nach
fast einem Jahr Verhandlungsdauer stellt sich mir dieser Prozeß so dar: Im
Unterschied zu dem abgeschlossenen und den bisher laufenden Prozessen gegen
Hoheitsträger der DDR, die wegen der gleichen Anschuldigungen der
Staatsanwaltschaft vor bundesdeutschen Gerichten stehen, hat diese Kammer
darauf verzichtet, zunächst unsere Pflichtenlage zu behandeln und zu prüfen, ob
wir gegen das Recht der DDR oder das Völkerrecht verstoßen haben. Obwohl die
Kausalität zu den hier behandelten Fragen nach DDR-Recht nicht gegeben war,
wurde das Bestreben offensichtlich, an den uns von der Staatsanwaltschft zur
Last gelegten Einzelfällen unsere Schuld zu beweisen.
Die bis ins Detail
behandelten Vorgänge waren offensichtlich auch dafür bestimmt, das Mitgefühl
für die Betroffenen und Emotionen zu wecken und die Angeklagten als Personen
darzustelle, denen das Leben von Menschen nichts bedeutet, die Handlanger und
Mitgestalter des Unrechtsstaates DDR waren.
Gleich zu Beginn das
Prozesses drohte der Herr Vorsitzende ohne jeden Anlaß, er werde es nicht
zulassen, daß die Opfer beleidigt oder gedemütigt werden. Das hatte, Herr
Vorsitzender, auch niemand in der Absicht. Wir haben Respekt und menschlichen
Anstand gegenüber Betroffenen. Aber es muß doch wohl gestattet sein,
Widersprüche in den Aussagen und auch bewußte Falschdarstellungen deutlich zu
machen. Und betrachtet man die einzelnen Fälle, so gibt es viele, sehr viele
ungeklärte Fragen und Widersprüche. Wenn schon diese bedauerlichen Vorfälle -
unter Umgehung der Kernfragen dieses Prozesses - als Beweis unserer Schuld
dienen sollen, wäre es die Pflicht der Richter gewesen, jeden Fall
unvoreingenommen und vollständig zu klären. Das war nicht der Fall. (...)
Alle Dokumente der
Grenztruppen stehen dem Gericht dank unserer Aufbewahrung lückenlos zur
Verfügung, keines wurde vernichtet, denn wir gingen immer davon aus, daß unser
Handeln den Gesetzen unseres Staates entspricht und die Dokumente dies belegen.
Angesichts der hemmungslosen Jagd der Staatsanwaltschaft II auf Angehörige der
Grenztruppen aller Dienstgradgruppen frage ich mich heute, ob die Aufbewahrung
- wegen dieser Folgen - richtig war. Alle Dokumente haben die
Staatsanwaltschaft zudem nicht gehindert, in ihrem Plädoyer unter deren
Ignorierung an ihren verleumderischen Behauptungen festzuhalten.
Wiederholt haben wir
hier unser Mitgefühl für die Betroffenen zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz
zur Staatsanwaltschaft sind für uns Betroffene
auch die Grenzsoldaten, die in Ausübung ihres Dienstes verletzt oder ermordet
wurden. Wo stehen ihre Kreuze, wer legt zu ihrem Gedenken Kränze nieder? Die
Erinnerung an diese Opfer soll restlos getilgt werden. Wir brachten unser
Mitgefühl nicht zum Ausdruck, weil es zeitgemäß ist oder um einmal im Jahr -
zum 13. August - die Opfer zu betrauern oder um sie, wie von den Politikern,
für politische Ziele zu mißbrauchen. Unser Mitgefühl ist aufrichtig. Wir wissen
um die Verantwortung eines Militärs für das Leben der Unterstellten, aber auch
um die Achtung des Lebens von Menschen, die sich - wie das Gericht festgestellt
hat - einer Rechtsverletzung schuldig gemacht haben. (...)
Man hat mir zu Beginn
des Prozesses zu verstehen gegeben, daß den Vertretern der Nebenklage in
Grenzerprozessen alles Mögliche und Unmögliche gestattet wird. In der Tat,
Nebenkläger haben sich des öfteren in eine Rolle begeben, die jeder selbst
bewerten mag. Das Plädoyer der Rechtsanwältin Westphal hat in erschütternder
Weise deutlich gemacht, wie groß ihre Wissenslücken über das Leben und die
gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR sind. Für sie und für andere, die
hier über uns zu Gericht sitzen, ist die DDR der Ausdruck des Bösen
schlechthin. Folgt man ihrer Verhaltenslinie, so hatte die DDR 32 Millionen
Bürger - nämlich 16 Millionen Unterdrücker und 16 Millionen Unterdrückte. In
der Tat, Frau Westphal, haben wir bei der Suche nach Alternativen Fehler
gemacht, unverzeihliche, die subjektiv - aber auch objektiv begründet waren.
Unser Wohlstand in der DDR war ein bescheidener, was uns aber nicht unglücklich
gemacht hat. Das Geld, der persönliche Reichtum, waren nicht das Maß aller
Dinge. Es mangelte an manchem, aber insbesondere an vielem, was die Bürger der
neuen Bundesländer nunmehr im Überfluß bekommen haben.
Um nur einiges davon
zu nennen: Arbeitslosigkeit in einer Größenordnung, wie sie in Deutschland
lange nicht zu verzeichnen war; Kränkungen und Demütigungen, Enteignungen und
Strafrenten; Plattmachen von Industrie und Landwirtschaft; Abfackeln von
Menschen und Unterkünften; eine Kriminalitätsrate unvorstellbaren Ausmaßes,
Drogentote, Jugend ohne Lehrstellen und Perspektive, soziale Unsicherheit, eine
Selbstmordrate bisher nicht gekannter Größenordnung, Obdachlosigkeit u.v.a.m.
Ein Reisepaß, der auch nur etwas nützt, wenn man Geld hat, wiegt das wahrlich nicht
auf. (...)
Herr Vorsitzender,
Sie haben meinem Verteidiger und mir den Vorwurf gemacht und uns unterstellt,
wir würden den Prozeß verzögern. Warum sollten wir das? Nicht wir wollten
diesen Prozeß, und jeder Tag in diesem Gerichtssaal ist für mich eine erneute
Demütigung. Es ist für mich unerklärlich, warum der Herr Vorsitzende - der doch
unparteiisch sein soll - ohne Rücksicht auf das erkennbare Bemühen um Sach- und
Rechtsaufklärung sozusagen "kurzen Prozeß" macht. Die wohl am meisten
gehörte Entscheidung im Verlaufe dieses Prozesses lautete
"abgelehnt". Warum wird ein völkerrechtliches Gutachten zu hier
wichtigen Sach- und Rechtsfragen abgelehnt? Sind bundesdeutsche Richter
allwissend und unfehlbar?
Es könnte Ihrer
Autorität doch nur nützen, wenn auch von international kompetenten Rechtswissenschaftlern die Rechtmäßigkeit dieses
Prozesses bestätigt wird. Oder ist bekannt, was das Ergebnis solchen Gutachtens
wäre, und man will das nicht wissen? Ich kann mich des Eindrucks nicht
erwehren, daß das schnell angestrebte Urteil in diesem Prozeß dazu dienen soll,
die anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes ebenso zu
beeinflussen, wie das in den Spionageverfahren auch versucht wurde. (...)
Über vierzig Jahre- die meiste Zeit meines
Lebens - lebte ich in der DDR. (...) Dieser Staat war für mich eine Alternative
zum Kapitalismus. Die DDR war für mich der antifaschistische Staat auf
deutschem Boden, der sich konsequent für Völkerfreundschaft und Frieden
einsetzte, in dem es unmöglich war, daß Nazigrößen in Staat und Gesellschaft
weiter Einfluß besaßen. Ich erlebte die DDR wie alle ihre Bürger, die die
Gesetze ihre Staates achteten, als einen Staat, der
- niemals territoriale oder Besitzansprüche
an andere Staaten gerichtet hat,
- der das Leben und die soziale Sicherheit
seiner Bürger schützte,
- der für jeden das
tägliche Brot und ein Dach über dem Kopf garantierte.
Breit verankert waren
gegenseitige Hilfsbereitschaft, Solidarität und Gemeinschaftssinn. Dieser Staat
war für mich verteidigungswürdig, und deshalb habe ich ihm treu gedient ... die
DDR ... war trotz aller Unzulänglichkeiten und Fehler der bessere deutsche
Staat im Vergleich zu den bisher existierenden. (...)
Hohes Gericht, zu
Sicherheits- und militärpolitischen Aspekten und zu militärischen Fragen habe
ich mich im Verlaufe des Prozesses geäußert und auf die überprüfbare
Beweisführung in den Anträgen der Verteidigung verwiesen. Wenn man sich - wie
ich - im sechsten Jahrzehnt seines Lebens befindet und - wie es heißt -
unbescholten durch sein Leben gegangen ist, wird unbegreiflich, vor einem
Strafgericht wegen korrekter Pflichterfüllung wegen Totschlages angeklagt zu
sein. Dieser Tatbestand ist bekanntlich daran geknüpft, einen Menschen zu
töten. Ich war Soldat und meinem Staat verpflichtet, Gesetzestreue war
Bestandteil meines Lebens. Deshalb weise ich den Vorwurf der Anklage, ich wäre
ein Totschläger, nochmals mit aller Entschiedenheit zurück. Dieser
ungeheuerliche Vorwurf wird auch nicht gemildert durch die Abwiegelung, wir
wären keine "gewöhnlichen Kriminellen". (...)
Oberst Gertz, der
Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, hat mir nach Kenntnisnahme der
Unterlagen, die der Verfolgung von Generalen der DDR zugrunde liegen, in einer
ausführlichen Stellungnahme u.a. mitgeteilt:
Zitat:
"Als gelernter
Jurist, dem es auf Grund der Unterlagen ermöglicht wurde, eine Bewertung
vorzunehmen, gehen ich nach dem Studium der Anklageschrift nunmehr davon aus,
daß dem Versuch der Staatsanwaltschaft, Sie und die übrigen Angeklagten dafür
verantwortlich zu machen, den Grundbefehlen nicht widersprochen zu haben, kein
Erfolg beschieden sein kann. ... "
In unserer
Gemeinsamen Erklärung vom 3. 11. 1995 heißt es: "Es gibt keine reale
Möglichkeit zur Verteidigung, wenn das Recht der DDR und das Völkerrecht nach
aktuellen politischen Bedürfnissen der BRD verfälscht werden, um dadurch eine
Verurteilung auf scheinlegaler Basis zu erzwingen. Wir sind dennoch
entschlossen, uns trotz hoffnungsloser Lage nach Kräften zu wehren und um unser
Recht und unsere Ehre als Bürger der DDR zu kämpfen."(...)
[1]
Az.: - P III/1-98
Auf meinen Blog übernommen:
AntwortenLöschen- Sascha Iwanows Blog -
https://kuckmalhier2020.wordpress.com/