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Mittwoch, 10. Juni 2015

Ein Theologe als Kommunist ? ! - Ein Beitrag von Dieter Frielinghaus


Schwerter zu Pflugscharen, Skulptur von Jewgeni Wiktorowitsch Wutschetitsch - 1959 Geschenk der Sowjetunion an die UNO Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license - Neptuul
 
I.
Vor langer Zeit las ich, ich weiß nicht mehr wo, folgende Geschichte: Ein Trupp roter Kämpfer gegen die Weißen schrieb an Lenin, ihnen habe sich ein Priester angeschlossen. Er beteilige sich nicht nur daran, Nahrung herbeizuschaffen, er handhabe auch das Gewehr. Was sie mit ihm machen sollten? Lenin schrieb zurück: Solange der Pope keine religiöse Propaganda macht, könnt ihr ihn bei euch behalten.
Ein Kommunist steht unter einem hohen Anspruch an Solidarität und Ergebenheit, Kampfbereitschaft und Standhaftigkeit, Können und Wissen. So habe ich es erlebt bei vielen, die ich kannte in Westdeutschland und der DDR und die ich noch heute oder auch erst heute kenne, und zwar nicht nur bei führenden Genossen, sondern auch bei Werktätigen und Funktionären, die nur in einem engeren Umkreis bekannt werden. Es waren Mitglieder der KPdSU dabei. Ältere Genossen, die dem Faschismus widerstanden, sehe ich mit besonderer Ehrfurcht an.
Diesen Anspruch erfülle ich nicht.
In einem Interview vor einigen Jahren antwortete Armin Stolper auf die Frage „Sind Sie Kommunist?“ sinngemäß: Früher hätte ich gesagt, ich bemühe mich, einer zu werden; heute sage ich gegen die neuen alten Zustände und für die verunglimpften Genossen einfach, ja, ich bin Kommunist.
Und als Theologe? In der DDR stellte sich die Frage für mich wie überhaupt für viele ganz unterschiedliche Menschen nicht dringlich. Den Sozialismus mit aufzubauen gab es viele institutionelle und menschliche Möglichkeiten. Mir sind Kommunisten immer freundlich begegnet. Grundsätzlich trauten sie jedem unbesehen Bundesgenossenschaft zu. Dann aber haben sie auch etwas von ihm erwartet. Das Leben war spannend, anstrengend, hoffnungsfroh und ärgerlich. Wir hatten eine gute Gemeinschaft. Es war fast schon zu selbstverständlich.
Zu dem Stichwort „ärgerlich“: Berechtigte Unzufriedenheit verleitete uns unberechtigtermaßen dazu, große Fortschritte wenig zu beachten. Ich nenne die Hebung des Wohlstandes und der Ansprüche, die Breite der Kultur und den Bildungsstand.
Umso schwerer zu ertragen, wieviele den Rücken gekehrt haben. Bei der Sache zu bleiben um der Familie, des Volkes und insbesondere der vielen Unterdrückten willen ist notwendiger und schwerer geworden. Wir brauchen die Stärkung durch die Kommunistische Partei und können vielleicht wiederum zu ihrer Stärkung beitragen.
Um das mir gestellte Thema auch theoretisch ein wenig anzugehen, muß ich einiges Grundsätzliche aus der Theologie streifen. Damit Ihr wißt, wie das gemeint und wie es nicht gemeint ist, erinnere ich an die eingangs erzählte Anekdote.
II.
Der christliche Glaube ist keine Gesellschaftslehre. Er läßt sich mit keiner Gesellschaftslehre vergleichen. „Entweder Christentum oder Sozialismus“ darf nicht gefordert werden. Es geschieht trotzdem, ist dann aber, christlich gesprochen, falsche Lehre. „Christentum und Kapitalismus“ darf erst recht nicht gesagt werden, wird aber dauernd betrieben. Die Irrlehre besteht darin, daß die Kirche, als vertrete sie eine Gesellschaftslehre, die gesellschaftliche Option vorschreibt oder dringend empfiehlt.
Es geht im christlichen Glauben einzig und allein um das Verhältnis zwischen Gott dem Herrn und den Gliedern der Kirche: „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzer Seele und mit allen Kräften.“
Weiterhin steht der christliche Glaube aber in engster Beziehung zur Gesellschaft. Der Christ lebt mehr in der Gesellschaft als in der Kirche. Das ist nicht nur so, sondern soll so sein. „Das andere Gebot ist dem“ eben genannten „gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selber.“ Es hat grundlegende Bedeutung, daß es nicht nur heißt: „Du sollst deinen Mitchristen lieben.“ Das Wort „Nächster“ bedeutet Mensch, Mitmensch ohne religiöse Bedingung.
Somit hat der Christ die Freiheit und die Pflicht zum Leben, und zwar zum aktiven Leben in der Gesellschaft - ohne extra Lehre, ohne eigene Partei, ohne christliche Herrschaft. Er muß also selber nachdenken und entscheiden, Stellung beziehen, in eigener Verantwortung Aufgaben erfüllen. Dies muß und will er natürlich mit den anderen zusammen tun ohne religiöse Bedingung. Die gesellschaftlichen Aufgaben kommen aus der Gesellschaft.
Hier nun muß ich aufpassen: Aus welcher Gesellschaft? Das Leben soll für mich erträglich, nein erfreulich sein, aber für alle anderen auch. Ich brauche das Recht auf Leben in Würde und kann und will es nicht haben, wenn nicht alle es haben. Wir brauchen Frieden, Gerechtigkeit, Solidarität, Freundschaft. Ich sehe aber, daß es das alles insofern gar nicht gibt, als die gesellschaftlichen Verhältnisse es nur für die wenigsten zulassen. Die Not der Menschen ist übergroß nicht infolge Notwendigkeit, sondern Verbrechen. Ich kann nicht von ferne alle Qualen und Leiden unschuldiger Kinder, Frauen und Männer unter dem Imperialismus zur Kenntnis nehmen, behalten und bedenken, die täglich geschehen.
Aber ich sehe auch, daß die Unterdrückten seit Jahrtausenden gegen die Unterdrücker kämpfen, weil sie ein besseres Leben brauchen, verlangen und, wie auch ich, daran glauben. Auch die Bibel ist ein Dokument dafür.
Wieso sollte ich eigentlich nicht sehen, daß dieser Kampf mit dem Sozialismus in eine Phase getreten ist, in welcher er siegen kann und muß und wahrscheinlich wird. Vor allem Karl Marx und Friedrich Engels haben die Gesellschaft wissenschaftlich untersucht und folglich den sich befreienden Massen die Aufgabe gestellt, die kapitalistische Profitwirtschaft abzuschaffen und eine geordnete Gemeinwirtschaft und damit organische Gleichheit für alle zu erarbeiten. Wer erkennt hier nicht eine der größten befreienden Entdeckungen der Menschheitsgeschichte, dazu die Aussicht auf Menschenfreundlichkeit, die von den Verwirklichern dieser Lehre bereits praktiziert wird? Die Entdeckung geschah im Zuge der großen Befreiungsbewegung, hat diese entscheidend ausgerichtet und wird wiederum von ihr ständig präzisiert. Diese Revolution und die sie organisierende Partei bleibt verpflichtend mit dem Namen Lenin verbunden.
Die Kirche mit dem Evangelium hat keine Gesellschaftsordnung zu predigen. Wohl aber gehört zu ihrer Predigt das Gebot: Geht mit aller eigenen Verantwortung unter die Leute und gestaltet mit ihnen die bestmöglichen Bedingungen des täglichen Lebens. Wie ihr das macht, müßt ihr zusammen mit ihnen herausfinden und vor ihnen, aber auch vor euren Mitchristen verantworten.
Welche bessere Entscheidung kann ein Christ treffen als die sozialistische mit der Kommunistischen Partei? Ein Theologe vielleicht noch erst recht als persönlichen Vollzug seines Predigens und weil er möglicherweise die Bibel etwas gründlicher gelesen hat.
Insofern sollte man bei dem Thema „Ein Theologe als Kommunist“ nichts weiter Verblüffendes sehen. Falls eine Besonderheit mitläuft, so keine erhebliche. Die anderen muß es nicht beunruhigen, daß er an Gott glaubt, und ihn in seiner Teilnahme am Kampf um gesellschaftliche Gerechtigkeit hindert es nicht, daß die meisten es nicht tun.
Ebensowenig bewegend scheint das Thema, weil es in der Praxis ziemlich selten vorkommt. Aber gerade dies muß uns verwundern, ja beunruhigen.
Die Erklärungen dafür liegen, ob theologisch, ob marxistisch, dicht beieinander. Es handelt sich um eine Klassenfrage, um die Überwucherung des christlichen Glaubens durch Denken und Fühlen nach Art der bürgerlichen Klasse, das so weit reicht, daß die meisten Christen es gar nicht reflektieren. Um nicht in hundert Einzelheiten zu gehen, die doch wichtig wären, muß ich abkürzen und vereinfachen.
Wir haben von dem „Antikommunismus der Kirche“ zu reden. So direkt und massiv gibt er sich zwar auch, wirkt aber vor allem in vielen Schattierungen und Graden und meist scheinbar harmlos. Doch insgesamt frage ich: Konnte sich bisher irgendwo ein sozialistischer Staat auf die Loyalität der Kirche, die nicht selten sogar Zustimmung signalisierte, im Ernst verlassen? Bei manchen beantwortet sich die Frage erst nach Tische, was die Sache schlimmer macht. Und noch schwerer als den Staat, wiegt es, die Arbeiter und Bauern zu täuschen. Ich denke etwa an die „kirchliche Friedensbewegung“. Ihr Grundton in der DDR lautete: Ein jeder gegen die Rüstung seines eigenen Staates. Damit war die sozialistische Friedenspolitik der kontrollierten Abrüstung öffentlich halb unterstützt, im „innerkirchlichen Dienstgebrauch“ aber gleich diskreditiert. Auf Synoden wurde die DDR als militaristisch denunziert. Es gab Christen, die mit ihrem Entschluß, auch etwas für den Frieden zu tun, den Weg des Widerstandes gegen den Staat beschritten. Den Wehrdienst zu verweigern, galt als ein besonders klares Bekenntnis eines jungen Christen - aber nur in der DDR. Heute lesen die ostdeutschen Christen in ihren Sonntagsblättern ständig von Generälen, Soldaten und Militärseelsorgern am Standort wie in Jugoslawien, ohne daß ein Wörtchen der Kritik an der aggressiven Doktrin der NATO und der eigenen Armee noch an der ausdrücklichen atomaren Erstschlagsoption gegen die Völker einflösse. Man könnte auf den Gedanken kommen, diese Friedensbewegung sei zu dem Zweck instrumentalisiert worden, die DDR für den Fall eines Angriffes aus dem Westen wehrlos zu machen.
Warum diese antikommunistische Torheit, die aber als Untat wirkt? Die alte, erste Antwort gilt noch unverkürzt: „Ein Gespenst geht um ...“ Die Gespenstergläubigen sorgen sich um Macht. Pilatus hatte Jesus gefragt: „Bist du ein König?“ Er konnte an ihm nichts dergleichen erkennen. Der so Gefragte würde durch die Jahrhunderte bis heute die Seinen wohl fragen: Wieso wollt ihr höchst erkennbare und anerkannte Könige sein? Wieso seid ihr beleidigt, wo ihr es nicht seid?
Der antifaschistische Basler Theologe Karl Barth schrieb zu Beginn der 40er Jahre Briefe an Kirchen in Westeuropa und den USA aus der Sorge, mancher dort habe die schreckliche Gefahr eines Sieges Hitlerdeutschlands noch nicht erkannt. Diesen Krieg gegen diese Aggression dürfe niemand ablehnen oder lediglich halbherzig bejahen, man müsse ihn mit ganzer Überzeugung und vollem Einsatz führen. Dabei sagt Karl Barth einmal: Die Kirchen hätten, schlimm genug, bisher nahezu jeden Krieg gerechtfertigt, sie würden doch wohl nicht ausgerechnet diesen mißbilligen?
Derselbe Karl Barth zeigte große Aufgeschlossenheit für den Sozialismus und im Kriege für die Sowjetunion. Leider überwog später seine Kritik an Theologen, deren Zusammenarbeit mit dem Sozialismus ihm zu aufgeschlossen erschien. Dennoch möchte ich seinen Gedanken fortführen, zumal wie für ihn damals im Blick auf den Krieg für uns heute bei dem Kampf um den Sozialismus die buchstäbliche Lebensgefahr der Welt einen treibenden Ansporn ausmacht.
Die Kirchen haben noch jeden Staat anerkannt. Sie müssen sich doch nicht ausgerechnet gegen den sozialistischen stellen. Sie haben noch jede Gesellschaftsordnung anerkannt, und das erst recht, wenn deren Zeit schon vorbei war. Warum haben sie gegen keine andere so viele angeblich geistige Waffen zusammengetragen wie gegen die sozialistische und tun es nach deren, wie sie sagen, verdientem Scheitern noch einmal verstärkt?
Ich denke,weil diese eine ganz neue, ganz freie und ganz verpflichtende Gesellschaftsordnung keine religiöse Weihe braucht noch will. Wer aber solche Weihe erteilt und erteilen möchte, will „geistig“ mitherrschen, - und was heißt „geistig“? Wieder kann ich nur erwähnen, daß die sich darin Übenden in den verschiedensten Schattierungen und Graden verfahren. Aber die Ausbeutergesellschaft kann sich auf sie verlassen und umgekehrt. Dagegen im Sozialismus verliert die Kirche den Stand als Teilhaberin staatlicher Macht wie als tragende Säule gesellschaftlichen Lebens. Übrigens ein Verhältnis, das dem im Neuen Testament gemeinten entspricht. Diese Zumutung und Befreiung scheint aber der Kirche unerträglich.
Daher der Verrat am Proletariat schon vor dem Manifest und nachher erst recht. Für damals ist er heute zugegeben, für die Gegenwart aber nicht aufgegeben. Gewiß weiß jeder kirchliche Vorgesetzte, daß die bestehende Weltordnung Recht und Gerechtigkeit unterbindet. Im 19. Jahrhundert begründete man offen: Es reicht nun einmal nicht für alle, und schließlich sind die Proletarier auch nicht so ganz Menschen wie wir besseren Menschen aus gutem Hause. Heute spricht man dergleichen nicht aus, aber lügt beziehungsweise widerspricht nicht der Lüge, daß bei mehr Gewinnen der Konzerne mehr Arbeitsplätze geschffen werden können für alle, die bereit sind, wie verantwortliche Leute für sich selber zu sorgen. Man fügt hinzu, daß die Sünde leider nicht ausgerottet werden könne. In diesem Rahmen bleibt es ja möglich, Wohltätigkeit zu üben. Tatsächlich wird nicht einmal versucht noch dazu aufgerufen, die Verhältnisse zu bessern, meinetwegen besser als der Sozialismus vorhat. Sie wissen, daß es nicht ginge, aber daß es auf dem Wege des Sozialismus geht. Darum verteufeln sie ihn. Sie kommen nicht auf den Gedanken, ihre eigene Weltanschauung einmal kritisch zu befragen. Sie machen sich auch nicht versuchsweisedie kleine Mühe, die Weltanschauung der Arbeiterklasse zu verstehen. Christen, die sich dem Sozialismus anschließen, gelten, getreu nach Adenauers Wort, als Dummköpfe oder Verräter. Sie werden aber in aller Regel niemals aufgefordert, sich vor ihren Mitchristen zu verantworten. Es darf nicht zugegeben werden noch zur Sprache kommen, daß Klassenkampf herrscht. Wenn das Wort fällt, bedeutet das den Vorwurf, daß die Kommunisten ihn wollen, und keine Spur Einsicht, daß die Kapitalisten ihn führen und nicht entbehren können.
Den philosophisch-atheistischen Bestandteil der materialistischen Weltanschauung kann ich nicht untersuchen.
Die bedingungslose, leidenschaftliche Schärfe des Atheismus Lenins erkenne ich voll an. „Pfaffen mit behördlicher Bestallung“ findet er, wenn schon, erträglicher als „Pfaffen aus sittlicher Überzeugung“. Denn Religion heißt: Zar und Gutsbesitzer walten kraft göttlichen Rechts; dieses untersagt den Widerstand gegen das Böse, es erzeugt fort und fort die Schwäche, die Schwammigkeit, die Feigheit der Bauernmassen (1908). Lenin kämpft gegen die widerliche „Gottbildnerei“. Ich merke an: Auch die zehn Gebote tun es, auch die biblischen Propheten tun es und geißeln die Folgen dieses Unwesens. Denn die Reichen quälen die Armen nicht nur aufs Blut, sondern halten sich auch noch für religiös prächtig in Ordnung weit vor allen anderen. Jesus kündigt an, daß die Armen und Solidarischen das Land und die Welt besitzen werden, und ruft ein fürchterliches Wehe über Kirchenleute, Schriftgelehrte. die „der Witwen Häuser fressen“ und „lange Gebete vorwenden“, die „Land und Wasser umziehen“, um einen Gläubigen zu machen, „und wenn er’s geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, zwiefältig mehr, denn ihr seid“, aktuell gesprochen einen Bürgerlichen.
Karl Barth nennt die falsche Lehre, Unterschiede zwischen den Menschen als Gottes Willen und Gebot zu sanktionieren, die Theologie des „Christen als Bourgeois“, der das Evangelium seinem Herrschafts- und Bereicherungsstreben unterordnet.
Werfen wir einen Blick auf die Blutspur, die die Kirchengeschichte begleitet durch die Jahrhunderte - Zwangsbekehrungen, Verfolgung der Juden, Kreuzzüge und Ausrottung ganzer Völker, Verführung, politische Verbrechen und Kriege bis hin zu dem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien -, so steht auch der Christ fassungslos vor dem Anspruch der Kirche auf öffentliche Geltung und Unterhaltung und auf die Rolle des Anklägers und Richters über Sozialismus, Sozialisten und Kommunisten. Wir entdecken da keine Selbsterkenntnis ihrer Mitschuld an Härte und sogar Verfehlungen des sozialistischen Staates, geschweige die Einsicht, daß bei uns jene Härte gerade ihr gegenüber mit viel Milde gepaart war, einschließlich, wie ich meine, sträflicher Milde.
Um die Vorwürfe aber dialektisch-materialistisch zurechtzurücken und meinetwegen die Kirchen partiell zu entlasten, erinnere ich an eine mir seit 1989 überaus aufschlußreiche Passage des Manifests der Kommunistischen Partei: Bei der „allen vergangenen Jahrhunderten gemeinsamen Tatsache“ der „Ausbeutung des einen Teils der Gesellschaft durch den andern“ ist es kein Wunder, „daß das gesellschaftliche Bewußtsein aller Jahrhunderte, aller Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit zum Trotz, in gewissen gemeinsamen Formen sich bewegt, in Bewußtseinsformen, die nur mit dem gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes sich vollständig auflösen“.
Mithin konnten sie sich noch nicht aufgelöst haben, auch nicht bei Genossen, was nicht nur auf opportunistische Genossen zutrifft. Die Kirche hatte zweitausend Jahre, der Sozialismus wenig mehr als einhundertfünfzig.
Die Frage, warum sich selten ein Theologe der Kommunistischen Partei anschließt, halte ich nun für hinreichend beantwortet, wenn auch nicht befriedigend geklärt.
III.
Einige Erfahrungen und Überlegungen dürften mehr oder weniger zum Thema gehören.
1. Als Mitglied der Kommunistischen Partei muß ich mich vor Fehlern hüten. Daß sie aus dem Christsein kommen könnten, fürchte ich nicht, eher aus der bürgerlichen Herkunft. Ich erlebe oft, daß Arbeiter direkter, sicherer und richtiger urteilen und entscheiden und ich mich korrigieren muß. Wir sind froh über unsere Grundorganisation mit Arbeitern aus der Schwedter petrolchemischen und Papierindustrie. Ihre monatlichen Zusammenkünfte brauchen wir. Neulich verstörte mich, an einem Tage gleich zwei auswärtige Genossen nacheinander die grundlegende Wichtigkeit der führenden Klasse ironisch abhandeln zu hören.
2. Niemand wird als Kommunist oder als Christ geboren. Aber jeder wird in die Klasse seiner Eltern hineingeboren. Leben diese nun bewußt sei es als Kommunisten, sei es als Christen, wird der Mensch früh vorgeprägt. Damit hat er einen Vorzug, wenn er selber aktiv wird. Andererseits besteht aber die Gefahr, daß die Gewohnheit das richtige Nachdenken einschläfert und die Sache an diesem Menschen profillos bis bedeutungslos wird. Eine mögliche Ähnlichkeit bei Marxisten und Christen. Eine verbreitete weitere Ähnlichkeit: Vielen sind ihre grundlegenden Schriften zu wenig bekannt. Und noch eine: Beide können ihre Sache nur leben als lebenslange Aufgabe, und wenn diese nicht auch Spaß macht, könnte schon ein Holzweg eingeschlagen sein. Man bedenke aber, welchenVorzug im Prinzip die meisten Menschen aus der DDR haben, die heute über 25 Jahre alt sind. Dieser müßte noch einmal zu mobilisieren sein.
3. Eine hier wie dort jeweils sehr komplizierte Schwierigkeit führt von der Theorie direkt in die Not. Die richtige Theorie erweist sich als lebenswichtig. Auf Spötteleien über das Streben nach der „reinen Lehre“ reagiere ich empfindlich. Eine Abweichung kann tödlich sein. Wir alle haben das erlebt, und hier haben wir es auch am Christentum betrachtet. Die richtige Theorie wird aber nur wirksam im gemeinsamen Verstehen, Entscheiden und Tun, im Kollektiv, insofern eine Methode, kein fertiges Dogma. Dazu kann sie indes werden, wo nicht oder nicht solidarisch diskutiert wird. Ein Problem, das dringend angegangen werden müßte, ist a) der erbitterte Streit um nicht wichtige theoretische Fragen, b) die Schwierigkeit, wichtig und unwichtig jeweils zu unterscheiden, und c) sowohl in wichtigen als auch in unwichtigen Fragen die vernichtende moralische Verteufelung des Abweichenden oder Irrenden, die Lenin nicht kannte.
4. Unter unseren aktuellen Aufgaben finde ich besonders wichtig, voranzukommen in gewerkschaftlicher Arbeit und in praktischer Solidarität mit Arbeitslosen.Ich weiß aber nicht wie. Für den erforderlichen praktischen Internationalismus sind wir vielleicht noch zu wenige. Aber für uns hilfreich wären wahrscheinlich zum Beispiel die Genossen aus Kuba und Chile, und wir würden vielleicht gebraucht von den Genossen in einigen afrikanischen Ländern. Viel deutlicher und umfangreicher sollte sich von selbst verstehen die Verbindung mit den Kommunistischen Parteien in den Ländern, die unsere Bruderländer waren.
5. Wenn ich kurz sagen soll, was mich auch als Theologen zur Mitarbeit in der Kommunistischen Partei bewegt, möchte ich es mit den alten, neuen Worten tun:
Brüder, zur Sonne, zur Freiheit - Proletarier aller Länder, vereinigt euch! - Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.

von Dieter Frielinghaus - Quelle: Weißenseer Blätter

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