Gedenktage bieten stets Anlaß für eine historische Rückblende. Das ermöglicht festzustellen, was erreicht wurde, was im Mittelpunkt stand und welche Erfahrungen bzw. Schlußfolgerungen abzuleiten sind. Untrennbarer Bestandteil der deutschen Gewerkschaftsgeschichte ist auch das 45 – jährige Wirken des FDGB.
Die Geburtsstunde des FDGB am 15. Juni 1945
Knapp fünf Wochen nach
der Zerschlagung des Faschismus erließ Marschall Shukow von der
sowjetischen Militäradministration am 10. Juni 1945 den Befehl Nr. 2
über die Bildung und Tätigkeit antifaschistischer Parteien und
freier Gewerkschaften in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ).
Damit war die Grundlage
für die Gründung der Gewerkschaften gegeben. So konstituierte sich
am 15. Juni 1945 aus einer Gruppe leitender Funktionäre aller
früheren Gewerkschaftsrichtungen ein Vorbereitender
Gewerkschaftsausschuß für Groß – Berlin. In diesen Ausschuß
arbeitenden die kommunistischen Gewerkschafter Roman Chwalek, Paul
Walter und Hans Jendretzky, die sozialdemokratischen Otto Brass,
Bernhard Göring und Hermann Schlimme und Ernst Lemmer von den Hirsch
– Dunkerschen Gewerkschaften und Jakob Kaiser von
den Christlichen Gewerkschaften.
Wie war die Situation?
Berlin lag in Trümmern. Verkehrsmittel fuhren kaum. Viele Kollegen
kamen zu Fuß oder auf Fahrrädern zu dieser
Gewerkschaftsveranstaltung, an der 579 Kollegen teilnahmen.
Im Kern ging es:
- um die Überwindung der
ideologischen und organisatorischen Spaltung der Gewerkschaften
- das Vertrauen der
Völker zurückzugewinnen und Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
In diesem Sinne war der
Aufruf des Vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses die Geburtsstunde
des FDGB. Die Gründung des FDGB
vor 70 Jahren ist nicht mit dem Neubeginn der Gewerkschaften in
Deutschland zeitlich identisch.
Den Anfang machten Gewerkschafter in Aachen
Es gehört zur
historischen Wahrheit, daß sich bereits am 18. März 1945 in Aachen
Gewerkschafter verschiedener politischer und weltanschaulicher
Richtungen zusammenfanden. 80 Personen – Kommunisten,
Sozialdemokraten, Christen u.a. waren gekommen, um die
Gewerkschaftsbegründung unter dem Namen „Freier Deutscher
Gewerkschaftsbund Aachen (FDGB)“ vorzunehmen. Sie verabschiedeten
die „13 Aachener Punkte“
Kampf gegen den
preußischen Militarismus und Faschismus
Entfernung der Nazis aus
Wirtschaft und Verwaltung
Vertretung der
Gewerkschaft in allen Zweigen des öffentlichen Lebens
Aus heutiger Sicht kann
man diese Forderungen als vorbildlich und richtungsweisend
bezeichnen. Nicht zuletzt waren das auch Orientierungspunkte, die
sich in den Grundsätzen bei der Gründung des Deutschen
Gewerkschaftsbundes ( DGB) im Oktober 1949 wiederfinden. So forderte
der 1. Vorsitzende des DGB Hans Böckler, die Bildung von
Einheitsgewerkschaften, die vom Staat, Unternehmen und Parteien
unabhängig sind.
All diese progressiven
Ziele wurden letztendlich Opfer des kalten Krieges. Dabei ist nicht
zu übersehen, daß auch revisionistischen Gewerkschaftsführer ihren
Anteil daran hatten. Dazu kam, daß die westlichen Besatzungsmächte
an starke Einheitsgewerkschaften nicht interessiert waren. So wurde
zunächst versucht, sie auf lokaler Ebene zu begrenzen.
Innerhalb weniger Monate
schufen Tausende von Arbeitern in Betrieben, Kreisen und Ländern
ihre Gewerkschaften. Bereits im April 1947 waren in 18
Industriegewerkschaften 3,5 Millionen Mitglieder organisiert. Der
Gewerkschaftsaufbau wurde nach dem Prinzip „Ein Betrieb – eine
Gewerkschaft“ gewährleistet.
Die Gewerkschaften
standen vor bisher nicht gekannten Aufgaben. Das verlangte radikales
Umdenken. Ohne intensive Aufklärung- und Bildungsarbeit wäre die
Stärkung der Gewerkschaften undenkbar gewesen.
In mühevoller
Kleinarbeit wurde insbesondere die Schulungsarbeit in den Betrieben
entwickelt. Dazu wurde monatlich Schulungs- und Referentenmaterial
herausgegeben. Auf Beschluß des Bundesvorstandes des FDGB konnten ab
2. Mai 1947 an der ehemaligen Bundesschule des ADGB in Bernau (der
späteren Gewerkschaftshochschule „Fritz Heckert“) Lehrgänge
durchgeführt werden. Vom 1. Januar 1947 an, erschien auch die
Gewerkschaftszeitung „Tribüne“
Das waren wesentliche
Voraussetzungen um, ausgehend von den Lehren der Geschichte die neue
Rolle der Gewerkschaften zu erkennen und über Inhalt und Ziel der
Gewerkschaftsarbeit zu diskutieren. Dieses Herangehen entsprach dem
Leninschen Hinweis, daß die Gewerkschaften „tief im Arbeitsleben
verwurzelt bleiben, das Leben der Arbeiter in- und auswendig kennen
müssen“ (Werke Bd. 33, S. 177)
Dieser Prozeß vollzog
sich aber nicht im Selbstlauf, sondern mußte im harten Klassenkampf
durchgesetzt werden.
Ende der vierziger Jahre
zeichneten sich tiefgreifende Veränderungen in der internationalen
Arena ab. Von westlicher Seite, insbesondere des USA-Imperialismus,
wurde alles versucht, die gesellschaftliche Entwicklung weltweit
ihrer Strategie unterzuordnen.
So wurden die
Einheitsgewerkschaften in Italien und Frankreich gespalten. Mit dem
Marschallplan 1947 erfolgte auch die Spaltung Deutschlands und damit
auch der Gewerkschaften. Auch die am 20. Juli 1948 eingeführte
seperate Währungsreform war sozusagen der Ausgangspunkt zur Bildung
eines Seperatstaates in den Grenzen der westlichen Alliierten, unter
Einbeziehung Westberlins. Es bleibt Tatsche, daß sich diesen
Prozessen eine Reihe Gewerkschaftsführer unterwarfen.
Die Unabhängige
Gewerkschaftsopposition (UGO) spaltet die einheitlichen Berliner
Gewerkschaften
In Westberlin begann 1948
ein Kesseltreiben gegen Funktionäre und Mitglieder des FDGB. Die
Besatzungsmächte und Konzernvertreter halfen den Maßgeblichen
Führern der UGO bei der Spaltung der Gewerkschaftseinheit in Berlin
und bereiteten das Verbot des FDGB in den Westsektoren vor.
UGO-Vertreter forderten beispielsweise die den Delegiertenwahlen die
parteipolitische Kennzeichnung der Kandidaten einzuführen. Ihr
Ansinnen wurde von der Mehrheit der Berliner Gewerkschaften
abgelehnt.
Der Vorsitzende des
Eisenbahnerverbandes der UGO, Brach, veranstaltete eine Urabstimmung.
Die Gewerkschaftsführer stellten sich also hinter die Feinde der
Gewerkschaftseinheit in Groß-Berlin. Schließlich brachen sie alle
Beziehungen zum FDGB ab.
Gründung der DDR – ein neuer Abschnitt in der Geschichte des FDGB
Von der ersten Stunde
seiner Gründung bis zur Auflösung 1990 war der FDGB ein
wirkungsvoller Mitgestalter und Wegbereiter der sozialistischen
Gesellschaft. Im Leninschen Sinne waren sie „die wichtigsten
Baumeister der neuen Gesellschaft“ (Werke, Bd. S. 438)
Zum ersten mal in der
deutschen Geschichte hatten die Gewerkschaften in der obersten
Volksvertretung Sitz und Stimme.
Zusammen mit der FDJ und
der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe bildeten sie eine
Fraktionsgemeinschaft. Die Gewerkschaften hatten das Recht auf
Gesetzesinitiative. So arbeiteten sie aktiv am „Gesetzbuch der
Arbeit“ mit, das im April 1950 in der Volkskammer verabschiedet
wurde. Das Arbeitsgesetz sicherte jedem Werktätigen das Recht auf
Arbeit und eine leistungsgerechte Entlohnung zu. Erstmals wurde
Frauen ein bezahlter Schwangerschaftsurlaub für die Dauer von fünf
Wochen vor und sechs Wochen nach der Geburt des Kindes gewährt.
Die
Mitwirkung an der Arbeitsgesetzgebung, insbesondere des
Arbeitsrechts, war ständiger Teil gewerkschaftlicher
Interessenvertretung. Das spiegelte sich auch an der Mitwirkung des
Arbeitsgesetzbuch (AGB) 1977 wider. Das AGB wurde auf Grund
veränderter Bedingungen von der Volkskammer am 16. Juni 1977
verabschiedet.
Helmar Kolbe - in "Berliner Anstoß" 06/2015
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