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Mittwoch, 24. August 2011

War die DDR 1989 pleite?

Widerlegung einer immer wieder gebrauchten Lüge
von Dr. Klaus Blessing, Zeuthen

Die politisch herrschende Kaste wird zunehmend nervös. Kein Wunder. Eine Krise jagt die nächste, immer schneller, immer tiefer: Finanzkrise, Ölkrise, Nahrungsmittel­krise, Umweltkrise, soziale Krise – alles miteinander verbunden durch die hem­mungslose Jagd nach Profit und Macht rund um den Globus. Wie soll man den Menschen noch erklären, dass das kapitalistische System das be­ste und endgültige auf dieser Welt ist? Immer mehr Menschen in Deutschland erin­nern sich: Da gab es doch eine Alternative namens DDR. Die Jugend stellt Fragen und erfährt von Eltern, Großeltern und gar in der Schule: Diese DDR war anders als es Politik und Medien weismachen wollen. Es gab dort Arbeit, Bildung, Sicherheit, Zukunft. Die herrschende Kaste folgert: Wenn die Sachargumente nicht ausreichen, muss die Verleumdung der DDR vergrößert werden. Je größer die Lüge, desto eher wird sie geglaubt, war in deutschen Landen schon einmal oberstes Propagandamotiv. Wenn in der Diskussion die Argumente ausgehen, werden nicht nur Diktatur, Mauer und Stasi-Staat aus der Retorte gelassen, auch die Behauptung „Die DDR war absolut pleite“ ist eine vorherrschende Aussage. Ob NATO-General, Theologe, Pfarrer, Me­diziner, Naturwissenschaftler, Rechtsanwalt, Philosoph oder Journalist – Menschen, die nie den geringsten Einblick in die Wirtschaft der DDR hatten, wissen es ganz ge­nau. Da sie aber selbst gar nichts darüber wissen, beziehen sie sich auf ein authenti­sches Material: Die “Analyse der ökonomischen Lage der DDR mit Schlussfolgerun­gen“, eingereicht von Schürer, Beil, Schalck, Höfner und Donda vom 27.10.1989. Was hat es mit diesem ominösen Papier auf sich? Lesen wir was in besagter Analyse zur Verschuldung im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet – um die ging es vorrangig -geschrieben steht:
„Die Verschuldung im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet ist seit dem VIII. Partei­tag gegenwärtig auf eine Höhe gestiegen, die die Zahlungsfähigkeit der DDR infrage stellt. . . .Die Konsequenzen der unmittelbar bevorstehenden Zahlungsunfähigkeit wäre ein Moratorium (Umschuldung), bei der der Internationale Währungsfonds be­stimmen würde, was in der DDR zu geschehen hat. Solche Auflagen setzen Unter­suchungen des IWF in den betreffenden Ländern zu Fragen der Kostenentwicklung, der Geldstabilität u. ä. voraus. Sie sind mit der Forderung auf den Verzicht des Staates, in die Wirtschaft einzugreifen, der Reprivatisierung von Unternehmen, der Einschränkung der Subventionen mit dem Ziel, sie gänzlich abzuschaffen, den Ver­zicht des Staates, die Importpolitik zu bestimmen, verbunden. Es ist notwendig, alles zu tun, damit dieser Weg vermieden wird.“
Um letzteres ging es. Das „Schürer – Papier“ war keine Bankrotterklärung, sondern ein leidenschaftlicher Appell der Verfasser an die neue Partei und Staatsführung – Egon Krenz hatte das Material in Auftrag gegeben – Auswege zu finden. Die Verfas­ser schlugen schmerzhafte Auswege vor. In heutiger Kenntnis der Zusammenhänge war das Material objektiv und subjektiv nicht korrekt. Die Verfasser des Papiers wollten Druck auf die neue Führung in der DDR ausüben, sowohl innen-als außenpolitisch. Bekannter Weise benutzte Krenz dieses Material auch bei seinem „Antrittsbesuch“ bei Michael Gorbatschow am 1. November 89, was Gorbatschow zu folgenden Äußerungen veranlasste: „Wir sind über eure ökonomische Lage auch durch unsere Beziehungen zur BRD informiert. . . Ich habe mich jedoch gefragt, warum wird die Sowjetunion ständig in so aufdringlicher Weise mit den Erfolgen der DDR traktiert. . . . Einmal habe ich ver­sucht, mit Genossen Honecker über die Verschuldung der DDR zu sprechen. Er hat dies schroff zurückgewiesen. . . Ich bin überzeugt, wenn er nicht so blind gewesen wäre, . . . dann hätte es eine andere Entwicklung geben können.“1
Im November `89 war es dafür offenkundig zu spät. Unkorrekt war das Material zumindest in zweierlei Hinsicht: Die Bezugnahme auf den VIII. Parteitag erweckt den Eindruck, dass die dort be­schlossene beschleunigte Sozialpolitik die alleinige Ursache der Verschuldung war. Das trifft so absolut nicht zu. Zu Beginn der 80-er Jahre war es sogar gelungen, im Zusammenhang mit der Heizölablösung im Inland und dem Export von ca. 6 Millio­nen Tonnen Erdölprodukten die Verschuldung im NSW spürbar zu reduzieren. Erst der Preisverfall für Erdöl in der zweiten Hälfte der 80-er Jahre hat zur erneuten Zu­spitzung der Zahlungsbilanzsituation geführt. Diese war jedoch bei weitem nicht so dramatisch, wie im Material dargestellt. Der Mitverfasser des Materials, Alexander Schalck, war damals offensichtlich nicht bereit oder in der Lage, die beträchtlichen Guthaben des weit verzweigten Bereiches Kommerzielle Koordinierung offen zu legen, wodurch die Darstellung der Verschul­dungssituation der DDR wesentlich entspannt worden wäre. Der genannte „Schürer“­Bericht weist „Schulden“ gegenüber dem NSW in Höhe von 49 Milliarden Valutamark (= 26 Mrd.$) für Ende 1989 aus. Unter Berücksichtigung aller Guthaben wies die Deutsche Bundesbank in einem Abschlussbericht demgegenüber „nur noch“ eine Nettoverschuldung von 19,9 Mrd. VM (= 12 Mrd.$) aus, also weniger als die Hälfte. Eine reale Einschätzung der NSW -Verschuldung durch die Verantwortlichen hätte den Ostdeutschen manches ersparen können. Die DDR -Wirtschaft hätte nicht um jeden Preis exportieren, hochwertige Konsumgüter – Fernseher, Radios, Kühl­schränke, Möbel, Teppiche, Bekleidung – zu Billigstpreisen an westdeutsche Han­delsketten verschleudern müssen. Die Versorgung der Bevölkerung im Inland wäre spürbar zu verbessern gewesen. Die Auslandsverschuldung der DDR entsprach 1989 real 760 $ je Einwohner der DDR. Im Vergleich zur heutigen Auslandsverschuldung vieler kapitalistischer Ent­wicklungsländer, vom Schuldenweltmeister USA ganz zu schweigen, war das eine beherrschbare Größe. Das Schicksal der Entwicklungsländer zeigt jedoch gerade die Entwicklung, die die DDR – Führung verhindern wollte. Die Entwicklungsländer wer­den durch politische und ökonomische Diktate in immer wieder kehrende Krisen und den Ruin getrieben. Dass es letztlich mit der Einverleibung der DDR durch die BRD, der kompletten Übertragung des kapitalistischen Gesellschaftssystems, dem Raub des Volkseigentums und der kolonialen Ausplünderung der DDR durch westdeutsche Konzerne noch viel schlimmer kam, war damals noch nicht vorhersehbar. Um die Gesamtverschuldung der DDR (In-und Ausland) ranken sich Legenden und viele Aussagen. Der westdeutsche Historiker Prof. Arno Peters nennt eine Gesamtschuld von 25 Mil­liarden DM, was einer pro – Kopf – Belastung der DDR – Bevölkerung von 1.569 DM entspricht.2 Der ehem. Vorsitzende der Plankommission der DDR, Gerhard Schürer, vertritt 6.000 Mark pro Kopf 3, sein Stellvertreter Siegfried Wenzel, bekennt sich zu 3.625 DM.4 Letzteres ist nach eigenen Berechnungen auch meine Auffassung. Auf jeden Fall lagen die Schulden der DDR wesentlich unter den heute nach den Maastrichtkriterien zulässigen Größen. 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes hätte 1989 in der DDR eine Staatsverschuldung von 7.590 DM zugelassen.5
Die Schulden der BRD betrugen zu diesem Zeitpunkt bereits 14.900 DM je Bundes­bürger. Bis heute sind sie – vergleichsweise in DM ausgewiesen -auf über 34.000 DM, bezogen auf die durch die Einverleibung der DDR erweiterte Bevölkerungszahl, gestiegen. Berücksichtigt man des weiteren, dass nach unseren Berechnungen6 von 1949 bis 2000 durch einseitige Reparationsleistungen, millionenfache Abwerbung und Ab­wanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte, diskriminierende Handels-und Wäh­rungspraktiken und letztlich Raub des von der DDR – Bevölkerung unter schwierig­sten Bedingungen erarbeiteten Volkseigentums sowie wesentliche Teile der persönli­chen Ersparnisse mindestens 7 Billionen DM aus dem Osten Deutschlands heraus gepresst wurden, beantwortet sich die Frage, wer auf wessen kosten gelebt hat und weiter lebt, von selbst. Selbst Politiker der BRD kommen nicht umhin, dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Kurt Biedenkopf meint: „Mir geht es darum, deutlich zu machen, wenn wir jetzt der DDR Ressourcen zur Verfügung stellen, das nicht unter der Überschrift „Hilfe“ oder sogar „altruistische Hilfe“ subsumieren können, sonder dass es für uns eine Ver­pflichtung gibt.“ Er betont weiter, dass es sich für die Bundesrepublik in diesem Falle gewissermaßen um „eingespartes Kapital“ handelt „mit dem wir ja arbeiten konnten. Und dieses Treugut muss man natürlich zurückgeben.“7
Bundespräsident Horst Köhler, für den der Osten Deutschlands ansonsten nur ein durch die SED -Diktatur unterdrücktes, gleichgeschaltetes, uniformiertes, militari­siertes und abgeschottetes Territorium war, kommt nicht umhin, anlässlich des 60. Jahrestages des Ende des 2. Weltkrieges vor dem Deutschen Bundestag zu erklä­ren: „Ostdeutschland verlor immer mehr Lebenskraft und Kreativität an die Bundes­republik, und das trug zu deren Blüte erheblich bei . . . Westdeutschland hatte es viel leichter – auch, weil es vergleichsweise weniger Reparationen leisten musste und mehr Aufbauhilfe bekam.“8
Um es im Klartext zu sagen: Nicht die DDR, sondern die BRD lebte und lebt über ihre Verhältnisse. Gegenüber der Staatsverschuldung der DDR lag die Verschuldung der BRD zum Zeitpunkt des Beitritts 1989 bereits um 10.000 DM je Bürger, das waren 600 Milliarden DM, über der der DDR. Diese nicht von DDR – Bürgern verschuldete Last haben jedoch alle, Kinder und Enkel eingeschlossen, mit dem Anschluss an die BRD aufgebürdet bekommen. Bis heute ist diese Last für jeden Bundesbürger – ob­wohl der Osten Deutschlands weiter ausgeplündert wird -auf über 30.000 DM ge­stiegen. Die Legende von der „Pleite der DDR“ ist eine Verleumdung. Jemand ist „pleite“, wenn er seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann. Die DDR war zu keinem Zeitpunkt pleite, sie hat bis zum letzten Tag ihrer staatlichen Existenz alle Zahlungsverpflichtungen im Ausland und im Inland in Form von Löhnen, Renten und Stipendien erfüllt. Mit der Pleiten-Debatte der DDR soll von der finan­ziellen, sozialen und politischen Pleite in der heutigen Bundesrepublik abgelenkt werden.
1 Egon Krenz „Herbst `89“ – Verlag Neues Leben 1999, S. 192/93 2 ND 25.6.1994 3 Gerhard Schürer „Gewagt und verloren“, edition ost 1996, S. 253 4 Siegfried Wenzel „Was war die DDR wert“ – Das Neue Leben Berlin 2006, S. 30 5 Die Aussage beruht auf Berechnungen des Bruttoinlandsproduktes der DDR für die Jahre 1970 bis 1989 des „Zentrum für Historische Sozialforschung Köln“ Heft Nr.17/20056 vgl. Blessing/Damm/Werner „Die Schulden des Westens – wie der Osten Deutschlands ausgeplün­dert wird“, Selbstverlag, ISBN 978-3-00-018960-9, 10,90 €7 ND vom 2./3. Dezember 1989 8 Aus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler zum 60. Jahrestag des Ende des 2. Weltkrieges im Deutschen Bundestag am 8. Mai 2005

Geringfügig gekürzt veröffentlicht in der Jungen Welt vom 15. September 2008



völlig überarbeitete und ergänzte Neuausgabe:

Klaus Blessing
Die Schulden des Westens
Was hat die DDR zum Wohlstand in der BRD beigetragen?
edition ost, Berlin
ISBN 978-3-360-01816-8
128 Seiten, Zahlreiche Grafiken
9,95 €


Verlag Klaus Blessing

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