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Donnerstag, 6. Oktober 2011

Blühende Landschaften oder Sieger schreiben Geschichte

Copyright Foto: Gabriele Senft - Aktion der Friedensbewegung im Mai 1999

Gedanken zum 3. Oktober

Blühende Landschaften
....und niemand wird es schlechter gehen in Deutschland, dafür vielen besser! Das versprach Bundeskanzler Kohl vor über 20 Jahren. Wer den 3. Oktober 1990 („Tag der deutschen Einheit”) aus dem weltpolitischen Zusammenhang reißt, kann diesen Tag nicht erklären. Voraussetzung zum Verständnis dieses Tages wäre eine Analyse der politisch-ökonomisch-historischen Rahmenbedingungen angefangen mit dem 30. Januar 1933.
Sieger schreiben Geschichte
Aber die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, die kein gutes Haar an den Besiegten lassen. In Bezug auf die DDR nannte der da­malige Justizminister Kinkel das 1991 „Delegitimierung der DDR” – als Empfehlung an die „unabhängi­ge” Justiz, die alsbald aus der alten BRD kommend alle wichtigen Posi­tionen im Justizapparat der gerade vergangenen DDR einnahm. Die Dämonisierung der DDR begann. Das durch nichts definierte Prädikat „Unrechtsstaat” wurde von den Sie­gern zur Kennzeichnung der DDR eingeführt. Überlegungen des SPD-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt (1994-2002), Reinhold Höppner, wurden nicht weiter be­achtet: Höppner sagte u.a.: „Daß in der DDR Unrecht geschehen ist, wird niemand bezweifeln. Aber das reicht nicht aus, diesen Staat zu charakteri­sieren. Wer wollte unterstellen, dass es in der ehemaligen Bundesrepu­blik kein Unrecht gegeben hätte? Ab wieviel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat? Was wäre eigentlich, wenn zur Einschätzung dieser Frage in jedem Staat alle Dokumente des Geheimdienstes öffentlich zugäng­lich gemacht werden müßten?”1 Ge­rade Mitglieder der VVN, auch in Bochum, können vom Unrecht in der Bundesrepublik ein Liedchen sin­gen, als sie in den 1950/60er Jahren verfolgt wurden und in Gefängnis­sen landeten, weil sie für Frieden und Völkerverständigung eintraten.2 Als Lothar de Maizière, CDU, letzter Ministerpräsident der DDR, im Au­gust 2010 sagte, dass die DDR kein vollkommener Rechtsstaat, aber auf keinen Fall ein Unrechtsstaat gewe­sen sei, brach eine Welle von Empö­rung über ihn hinein. Für ihn spricht: Nur ganz wenige Funktionsträger der ehemaligen DDR wurden strafrecht­lich verurteilt. Dennoch oder gerade deshalb erlebt die Totalitarismus- ver­bunden mit der Extremismusideo­logie eine ungeahnte Renaissance. Nachdem die roll-back-Politik, mi­litärische Befreiung „des Ostens” vom „kommunistisch-atheistischen Joch” endgültig durch die con­tainment-Politik abgelöst wurde, galt es, die Sowjetunion totzurüsten.3 Unter anderem deshalb war es dann 1989/90 so weit. Deutschland wurde „wiedervereinigt”. Das bedeutete auch das „ius ad bellum”, das Recht auf Kriegsführung, denn durch die 2plus4-Verträge wurde Deutschland endlich ein souveränes Land. Auf die vielen Brüche dieser Verträge kann hier nicht eingegangen wer­den. Die Entwicklung lief so schnell, dass 9 Jahre nach der „Wiederverei­nigung” die Medien im März 1999 stolz verkündeten: „Deutsche Bom­ber in der ersten Reihe” beim NATO-Überfall auf Jugoslawien oder in der Sprache der Sieger: Krieg gegen ei­nen neuen Hitler zur Vermeidung eines „neuen Auschwitz”, also hu­manitäre Operationen oder Missio­nen mit Bomben und Raketen. Dass es 1990 und danach nie zu einer breiten öffentlichen Diskussi­on über den alten Grundgesetzarti­kel 146 gekommen ist, dass es auch nie zu einer Diskussion über den neuen Artikel 146 kommt, sei nur am Rande als Indiz für den Zustand der Demokratie vermerkt. Sehr ver­traulich wurde in einem kleinen Gre­mium am 30.1.1990 beschlossen, bloß nicht den Artikel 146 des Grundgesetzes anzuwenden, sondern einfach den Artikel 23 (alte Fas­sung!).4
Tag der Einheit in einem
gespaltenen Land
Das Ende der staatssozialistischen Länder läutete eine neue Weltord­nung (so Präsident Bush sen. 1991) ein. Seitdem entfaltet sich der globa­le neoliberale Kapitalismus ohne ir­gendwelche Beißhemmungen. Und selbstverständlich gehören Kriege dazu. Auch „deutsche Bomber in der 1. Reihe” werden seit 1999 zur Selbstverständlichkeit. Auch das hat die Einheit gebracht, deren wir am „Tag der Deutschen Einheit” gedenken sollten: Ein sozi­al gespaltenes Land: Im Osten wird noch weniger verdient, gibt es noch weniger Rente, Bildung, medizini­sche Versorgung, kulturelle Ange­bote. Der Osten ist systematisch deindustrialisiert worden. Der späte­re Bundespräsident Horst Köhler, 1990 Staatssekretär im Finanzmini­steriums Theo Waigels, beauftragte Thilo Sarrazin mit den Arbeiten zu einem „offensiven Lösungsweg” zum Anschluss der DDR, weil Hel­mut Kohl die Chance zur Wieder­wahl damit verknüpfte. Die „Treu­hand” war geboren.
Das Ergebnis war:
1. Die staatssozialistischen Eigen­tumsverhältnisse wurden in kur­zer Zeit auch mit brachialen Mit­teln in kapitalistische überführt.
2. Sämtliche Einrichtungen des Staatsapparates der DDR wurden blitzschnell mit westdeutschem Leitungspersonal besetzt.
3. Die Delegitimierung von allem und jedem, der mit Sozialismus etwas zu tun hatte, lief sofort an. Jeder Gedanke an Sozialismus musste unterdrückt werden, in­dem die Geschichte des Sozialis­mus als unmenschlicher Irrweg von Anfang an dargestellt wird.
4. Der Antifaschismus wurde durch die Wiedergeburt der Totalitaris­mus-Doktrin diskriminiert.
Aus 600 Milliarden D-Mark (so die Schätzung der Treuhandanstalt) Volksvermögen der DDR und Voll­beschäftigung gelang es in 5 Jahren 275 Milliarden Schulden und 2,5 Millionen Arbeitslose zu machen. Die Freiheit des Kapitals forderte seine Opfer. Am 3. Oktober werden die Sieger uns die Geschichte wieder verbind­lich deuten und sie erklären uns die freie Marktwirtschaft als allein selig machende Religion. Und wer auf Hunger, Elend, Angst, Kriege, Aus­plünderung von Natur und Mensch und ständig wachsende Wirtschafts­und Finanzkrisen hinweist, wird kri­minalisiert, psychiatrisiert, diskrimi­niert oder ist dogmatischer Kommu­nist, wenn nicht gleich Stalinist.
Es lohnt sich, am 3. Oktober über einiges nachzudenken.
Dieser Bei­trag soll dazu anregen.

Wolfgang Dominik

1 Vgl. Heinrich Senfft, Die sogenannte Wieder­vereinigung, Berlin 1999, hier: S. 11f).2 vgl. z.B. das Lebenswerk Heinrich Hannovers,www.nrw.vvnbda.de/texte/0165_jw_justizgeschichte.htm und http://www.boalternativ.de/VVN/dokumente/Geschichte_VVN.pdf).3 3vgl. Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg oder: DieTotrüstung der Sowjetunion, Gießen 1995
3 vgl. Horst Schneider, Artikel 23, Kein An­schluß unter dieser Nummer, Dresden 2011; Michael Schneider, Die abgetriebene Revoluti­on, Von der Staatsfirma in die DM-Kolonie, Berlin, 2. aktualisierte Aufl. 1991; Ralph Hart­mann, Die DDR unterm Lügenberg, Hannover 2007; Gregor Schirmer, Anschluß statt Einheit, in: Junge Welt, 13.9.2010; Otto Köhler, Die große Enteignung, Wie die Treuhand eine Volks­wirtschaft liquidierte, Berlin 2011 (Fernseh­dokumentationen zur „Treuhand” heißen denn auch richtig „Beutezug Ost”)

mit freundlicher Genehmigung des Autors, entnommen aus „Antifaschistische Bochumer Blätter“  Nr. 3/2011-10-06 – Information der VVN- Bund der Antifaschisten

Antifaschistische Bochumer Blätter

1 Kommentar:

  1. Hallo.
    Erstmal Respekt für die tolle Seite.
    Den Beitrag hier finde ich auch gut gelungen.
    Ein Sache vielleicht am Rande: Die 600 Milliarden DM Volksvermögen sind nur das was die Treuhand verwaltete. Das Volksvermögen der DDR und was sie mit in die "Einheit" brachte, war weit höher. Laut DR Klaus Blessing betrug das gesamte Volksvermögen rund 1,5 Billionen DM.

    Sozialistische Grüße Roter Liebknecht

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