Blühende Landschaften
....und niemand wird es schlechter gehen in Deutschland, dafür vielen besser! Das versprach Bundeskanzler Kohl vor über 20 Jahren. Wer den 3. Oktober 1990 („Tag der deutschen Einheit”) aus dem weltpolitischen Zusammenhang reißt, kann diesen Tag nicht erklären. Voraussetzung zum Verständnis dieses Tages wäre eine Analyse der politisch-ökonomisch-historischen Rahmenbedingungen angefangen mit dem 30. Januar 1933.
Sieger schreiben Geschichte
Aber die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, die kein gutes Haar an den Besiegten lassen. In Bezug auf die DDR nannte der damalige Justizminister Kinkel das 1991 „Delegitimierung der DDR” – als Empfehlung an die „unabhängige” Justiz, die alsbald aus der alten BRD kommend alle wichtigen Positionen im Justizapparat der gerade vergangenen DDR einnahm. Die Dämonisierung der DDR begann. Das durch nichts definierte Prädikat „Unrechtsstaat” wurde von den Siegern zur Kennzeichnung der DDR eingeführt. Überlegungen des SPD-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt (1994-2002), Reinhold Höppner, wurden nicht weiter beachtet: Höppner sagte u.a.: „Daß in der DDR Unrecht geschehen ist, wird niemand bezweifeln. Aber das reicht nicht aus, diesen Staat zu charakterisieren. Wer wollte unterstellen, dass es in der ehemaligen Bundesrepublik kein Unrecht gegeben hätte? Ab wieviel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat? Was wäre eigentlich, wenn zur Einschätzung dieser Frage in jedem Staat alle Dokumente des Geheimdienstes öffentlich zugänglich gemacht werden müßten?”1 Gerade Mitglieder der VVN, auch in Bochum, können vom Unrecht in der Bundesrepublik ein Liedchen singen, als sie in den 1950/60er Jahren verfolgt wurden und in Gefängnissen landeten, weil sie für Frieden und Völkerverständigung eintraten.2 Als Lothar de Maizière, CDU, letzter Ministerpräsident der DDR, im August 2010 sagte, dass die DDR kein vollkommener Rechtsstaat, aber auf keinen Fall ein Unrechtsstaat gewesen sei, brach eine Welle von Empörung über ihn hinein. Für ihn spricht: Nur ganz wenige Funktionsträger der ehemaligen DDR wurden strafrechtlich verurteilt. Dennoch oder gerade deshalb erlebt die Totalitarismus- verbunden mit der Extremismusideologie eine ungeahnte Renaissance. Nachdem die roll-back-Politik, militärische Befreiung „des Ostens” vom „kommunistisch-atheistischen Joch” endgültig durch die containment-Politik abgelöst wurde, galt es, die Sowjetunion totzurüsten.3 Unter anderem deshalb war es dann 1989/90 so weit. Deutschland wurde „wiedervereinigt”. Das bedeutete auch das „ius ad bellum”, das Recht auf Kriegsführung, denn durch die 2plus4-Verträge wurde Deutschland endlich ein souveränes Land. Auf die vielen Brüche dieser Verträge kann hier nicht eingegangen werden. Die Entwicklung lief so schnell, dass 9 Jahre nach der „Wiedervereinigung” die Medien im März 1999 stolz verkündeten: „Deutsche Bomber in der ersten Reihe” beim NATO-Überfall auf Jugoslawien oder in der Sprache der Sieger: Krieg gegen einen neuen Hitler zur Vermeidung eines „neuen Auschwitz”, also humanitäre Operationen oder Missionen mit Bomben und Raketen. Dass es 1990 und danach nie zu einer breiten öffentlichen Diskussion über den alten Grundgesetzartikel 146 gekommen ist, dass es auch nie zu einer Diskussion über den neuen Artikel 146 kommt, sei nur am Rande als Indiz für den Zustand der Demokratie vermerkt. Sehr vertraulich wurde in einem kleinen Gremium am 30.1.1990 beschlossen, bloß nicht den Artikel 146 des Grundgesetzes anzuwenden, sondern einfach den Artikel 23 (alte Fassung!).4
Tag der Einheit in einem
gespaltenen Land
gespaltenen Land
Das Ende der staatssozialistischen Länder läutete eine neue Weltordnung (so Präsident Bush sen. 1991) ein. Seitdem entfaltet sich der globale neoliberale Kapitalismus ohne irgendwelche Beißhemmungen. Und selbstverständlich gehören Kriege dazu. Auch „deutsche Bomber in der 1. Reihe” werden seit 1999 zur Selbstverständlichkeit. Auch das hat die Einheit gebracht, deren wir am „Tag der Deutschen Einheit” gedenken sollten: Ein sozial gespaltenes Land: Im Osten wird noch weniger verdient, gibt es noch weniger Rente, Bildung, medizinische Versorgung, kulturelle Angebote. Der Osten ist systematisch deindustrialisiert worden. Der spätere Bundespräsident Horst Köhler, 1990 Staatssekretär im Finanzministeriums Theo Waigels, beauftragte Thilo Sarrazin mit den Arbeiten zu einem „offensiven Lösungsweg” zum Anschluss der DDR, weil Helmut Kohl die Chance zur Wiederwahl damit verknüpfte. Die „Treuhand” war geboren.
Das Ergebnis war:
1. Die staatssozialistischen Eigentumsverhältnisse wurden in kurzer Zeit auch mit brachialen Mitteln in kapitalistische überführt.
2. Sämtliche Einrichtungen des Staatsapparates der DDR wurden blitzschnell mit westdeutschem Leitungspersonal besetzt.
3. Die Delegitimierung von allem und jedem, der mit Sozialismus etwas zu tun hatte, lief sofort an. Jeder Gedanke an Sozialismus musste unterdrückt werden, indem die Geschichte des Sozialismus als unmenschlicher Irrweg von Anfang an dargestellt wird.
4. Der Antifaschismus wurde durch die Wiedergeburt der Totalitarismus-Doktrin diskriminiert.
Aus 600 Milliarden D-Mark (so die Schätzung der Treuhandanstalt) Volksvermögen der DDR und Vollbeschäftigung gelang es in 5 Jahren 275 Milliarden Schulden und 2,5 Millionen Arbeitslose zu machen. Die Freiheit des Kapitals forderte seine Opfer. Am 3. Oktober werden die Sieger uns die Geschichte wieder verbindlich deuten und sie erklären uns die freie Marktwirtschaft als allein selig machende Religion. Und wer auf Hunger, Elend, Angst, Kriege, Ausplünderung von Natur und Mensch und ständig wachsende Wirtschaftsund Finanzkrisen hinweist, wird kriminalisiert, psychiatrisiert, diskriminiert oder ist dogmatischer Kommunist, wenn nicht gleich Stalinist.
Es lohnt sich, am 3. Oktober über einiges nachzudenken.
Dieser Beitrag soll dazu anregen.
Dieser Beitrag soll dazu anregen.
Wolfgang Dominik
Antifaschistische Bochumer Blätter
1 Vgl. Heinrich Senfft, Die sogenannte Wiedervereinigung, Berlin 1999, hier: S. 11f).2 vgl. z.B. das Lebenswerk Heinrich Hannovers,www.nrw.vvnbda.de/texte/0165_jw_justizgeschichte.htm und http://www.boalternativ.de/VVN/dokumente/Geschichte_VVN.pdf).3 3vgl. Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg oder: DieTotrüstung der Sowjetunion, Gießen 1995
3 vgl. Horst Schneider, Artikel 23, Kein Anschluß unter dieser Nummer, Dresden 2011; Michael Schneider, Die abgetriebene Revolution, Von der Staatsfirma in die DM-Kolonie, Berlin, 2. aktualisierte Aufl. 1991; Ralph Hartmann, Die DDR unterm Lügenberg, Hannover 2007; Gregor Schirmer, Anschluß statt Einheit, in: Junge Welt, 13.9.2010; Otto Köhler, Die große Enteignung, Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte, Berlin 2011 (Fernsehdokumentationen zur „Treuhand” heißen denn auch richtig „Beutezug Ost”)
mit freundlicher Genehmigung des Autors, entnommen aus „Antifaschistische Bochumer Blätter“ Nr. 3/2011-10-06 – Information der VVN- Bund der Antifaschisten
Antifaschistische Bochumer Blätter
Hallo.
AntwortenLöschenErstmal Respekt für die tolle Seite.
Den Beitrag hier finde ich auch gut gelungen.
Ein Sache vielleicht am Rande: Die 600 Milliarden DM Volksvermögen sind nur das was die Treuhand verwaltete. Das Volksvermögen der DDR und was sie mit in die "Einheit" brachte, war weit höher. Laut DR Klaus Blessing betrug das gesamte Volksvermögen rund 1,5 Billionen DM.
Sozialistische Grüße Roter Liebknecht